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"Shock and Awe": Der Krieg gegen Saddam Hussein
Jahrestag der Irak-Invasion Zehn Lehren aus Amerikas dummem Krieg
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Neun Jahre haben die Vereinigten Staaten im Irak gekämpft. Außer Afghanistan gibt es keinen Krieg, in den sie länger verwickelt waren: nicht der amerikanische Bürgerkrieg, nicht der Erste oder Zweite Weltkrieg, nicht Korea und auch nicht Vietnam. Zieht ein Land in den Krieg, dann kommt es anders heraus, als es hineingegangen ist. Ganz zwangsläufig gibt es ein Davor und ein Danach. Da sind die Toten, die Verletzten, die Hinterbliebenen.
Aber da ist noch mehr. Es gibt Kriege, die sind nötig. Amerikas Kampf gegen Nazi-Deutschland war ein richtiger Krieg. Und es gibt die falschen Kriege, die sinnlosen. Wie den gegen den Irak. In beiden Fällen ziehen Gesellschaft, Politik und Militär Lehren daraus - mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger gewollt, richtige oder falsche. Eine Nation im Krieg verändert sich.
Bruce Riedel, hochrangiger Ex- CIA-Mann und Präsidentenberater, fasst das gegenüber SPIEGEL ONLINE so zusammen: "Der Irak-Krieg machte Barack Obama zum Präsidenten und veränderte Amerikas Außenpolitik. Es war ein dummer Krieg, seine Kosten waren enorm, und er war einer der größten Fehler unserer Landes." Die Schatten dieses Kriegs beeinflussten heute, wie sich Amerika gegenüber Iran, Syrien oder Libyen verhalte. Riedels Resümee: "Das Erbe des Irak-Kriegs wird Amerika auf Jahre hinaus belasten."
Vor zehn Jahren, am 20. März 2003, verkündete Präsident George W. Bush den Beginn des Kriegs: "Als Ergebnis werden wir nur den Sieg akzeptieren." Acht Jahre und neun Monate später, am 18. Dezember 2011, zogen die letzten US-Soldaten ab. Und Präsident Barack Obama erklärte: "Die Flut des Kriegs weicht zurück."
Was bleibt vom Krieg? Wie hat er Amerika und die Amerikaner verändert? Und wie die Politik? Zehn Thesen zum zehnten Jahrestag:
1. Es war ein "dummer Krieg"
Der Begriff stammt von Barack Obama. "Ich bin nicht gegen jeden Krieg. Ich bin gegen die dummen Kriege", sagte der damalige Provinzpolitiker aus dem Senat von Illinois im Herbst 2002 bei einer Demonstration gegen den bevorstehenden Irak-Feldzug. Insgesamt 1,5 Millionen US-Soldaten gingen in den Irak, ein geschätztes Drittel leidet an posttraumatischen Belastungsstörungen, etwa 30.000 wurden verletzt. Und 4422 starben. Für welchen Zweck? Amerika werde mit den "zerstörerischsten Waffen der Welt bedroht", hatte US-Präsident George W. Bush im Januar 2002 erklärt. Es könne "keinen Zweifel geben", dass Saddam Hussein über biologische Waffen verfüge, erklärte Außenminister Colin Powell vor der Uno. Doch die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Diktators wurden nie gefunden. Als "Schandfleck" auf seiner Biografie bezeichnete Powell später seinen Uno-Auftritt. Mittlerweile sehen viele Amerikaner den Einsatz kritisch. Einer YouGov-Umfrage zufolge halten 52 Prozent der US-Bürger den Einmarsch im Irak rückblickend für einen Fehler; nur 31 Prozent finden ihn nach wie vor richtig.
2. Der Krieg hat die Marke USA beschädigt
Amerika hatte sich mit dem Irak-Einsatz isoliert: Im Westen wuchs die Skepsis gegen die Bush-Politik, in der arabischen Welt entstanden neue Feinde. "Amerika hat für diesen Krieg das Völkerrecht gebrochen, Verbündete diffamiert, die Vereinten Nationen lächerlich gemacht", fasste der SPIEGEL den moralischen Schaden des Feldzugs zusammen. Der Folterskandal von Abu Ghuraib - ein Gefängnis am westlichen Stadtrand Bagdads - hat die stolze Demokratie auf lange Sicht moralisches Ansehen gekostet. Die US-Soldaten, die sich selbst als Befreier sahen, die die Menschenrechtsverbrechen eines Diktators enthüllten, wurden als Besatzungsmacht wahrgenommen; als eine Macht, die das Land in Chaos und Bürgerkrieg stürzte, in dessen Verlauf mehr als 100.000 Iraker starben.
3. Der Krieg hat den US-Geheimdienst CIA diskreditiert
Es war Amerikas Auslandsgeheimdienst, der unter dem Druck der Regierung die angeblichen Beweise für Massenvernichtungswaffen lieferte. Als Colin Powell vor die Uno zog und seine Glaubwürdigkeit verspielte, saß hinter ihm der damalige CIA-Chef George Tenet. Im Jahr 2011 enthüllte einer der Kronzeugen des Geheimdienstes - Rafed Ahmed Alwan al-Dschanabi, Deckname "Curveball" - seine Lüge. Er habe bewusst falsche Informationen über biologische Waffen geliefert. Denn er habe damals die Chance gesehen, "etwas zu konstruieren", um das Regime in Bagdad zu stürzen.
4. Der Krieg hat die Nation gespalten
Dass sich Demokraten und Republikaner in Washington heute so unversöhnlich gegenüberstehen, hat eine seiner Ursachen auch in der Auseinandersetzung über den Krieg. Anfangs stimmten sie ihm zu, später fühlten sich die Demokraten von Präsident Bush hintergangen. Massiv hat sich der Gegensatz zuletzt beim Kampf um die Berufung von Obamas Verteidigungsminister Chuck Hagel gezeigt. Hagel, selbst Republikaner, hatte die Truppenaufstockung im Irak ("Surge") einst als "gefährlichste außenpolitische Fehlleistung seit Vietnam" gebrandmarkt. Seine Parteifreunde haben ihm das nicht vergessen - und blockierten auch deshalb seine Berufung über Wochen.
5. Der Krieg befeuerte Obamas Wahlsieg
Er mochte unerfahren sein, aber im Vorwahlkampf der Demokraten hatte Barack Obama 2008 von Beginn an einen klaren Vorteil: Er hatte, anders als seine härteste Konkurrentin Hillary Clinton, nie für den Kriegseinsatz gestimmt. Ganz im Gegenteil, von ihm war ja sogar jenes Zitat über den "dummen Krieg" überliefert. Clinton sei "in der Vergangenheit bereit gewesen, George W. Bush nachzugeben", sagte Obama in einer der TV-Debatten. So konnte er erst bei den Demokraten und später im Präsidentschaftswahlkampf bei den kriegsmüden Amerikanern gegen den Republikaner John McCain punkten. Er werde den Irak-Krieg "auf vernünftige Weise beenden", versprach Obama.
6. Es war der Krieg der Neocons
Der Sturz Saddam Husseins war seit Jahren das Ziel der Neokonservativen um Paul Wolfowitz, Richard Perle, William Kristol - den intellektuellen Paten der Bewegung. Ihren militärgestützten Demokratisierungsphantasien verhalfen Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unter George W. Bush zum Durchbruch. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 sahen die Bush-Krieger als Legitimation, den Irak anzugreifen - obwohl es keine Verbindung gab. Bushs damaliger Anti-Terror-Berater Richard Clarke sagte: Wenn man den Irak angreife, dann sei das, "als wenn wir in Mexiko einmarschiert wären, nachdem die Japaner Pearl Harbor angegriffen hatten".
7. Die Neocons haben wenig aus dem Krieg gelernt
Die Neokonservativen sind keineswegs verschwunden. William Kristol etwa, der Gründer ihres Hausblatts "Weekly Standard", feiert den Irak-Krieg wie eh und je. Und längst haben die Freiheitskrieger ein neues Ziel im Blick: Iran. "Glaubt irgendjemand, eine iranische Atombombe ließe sich kontrollieren?", fragt Kristol. Rumsfeld und Cheney haben ihre Autobiografien vorgelegt. Selbstkritik? Fehlanzeige. Ihre Idee der präemptiven Kriegführung ist alles andere als abgehakt. Mit dem Drohnenkrieg gegen Terroristen macht Präsident Obama gewissermaßen genau dies: Potentielle Gegner ausschalten, bevor sie zuschlagen können.
8. Der Irak-Einsatz ebnete den Weg zum Schattenkrieg
Der Irak-Einsatz hat die US-Kriegsstrategie geprägt. Verteidigungsminister Rumsfeld setzte anfangs auf den "light footprint": Mit nur 145.000 Soldaten griffen die USA und ihre Alliierten den Irak an. Das Ergebnis war Chaos, die Truppen konnten das Land zwar erobern, aber nicht befrieden. Rumsfeld wurde entlassen, General David Petraeus forcierte die Strategie der "counterinsurgency" (COIN): mehr Truppen für den Schutz der Zivilbevölkerung und den vernetzten Kampf gegen Aufständische. Die Lage beruhigte sich, der neue Präsident Barack Obama ließ COIN auch in Afghanistan anwenden. Doch am Hindukusch funktionierte die Strategie nicht. Seitdem setzt Obama auf den Schattenkrieg: Drohnenattacken gegen mutmaßliche Terroristen und Aufständische in Afghanistan, in Pakistan oder im Jemen; Einsätze von Spezialeinheiten; Cyberwar gegen Irans Nuklearanlagen.
9. Der Krieg prägt die US-Außenpolitik im Arabischen Frühling
Bloß keine Verwicklung in einen zweiten dummen Krieg - dies ist eine der wesentlichen Lehren Obamas aus dem Irak-Abenteuer. So hielten sich die USA während des Umbruchs in der arabischen Welt zurück, im Falle Libyens unterstützten sie die Rebellen nur kurzzeitig mit Luftangriffen, überließen die Führung den Europäern. Obamas Berater prägten dafür den Begriff: "Leading from behind". Die Bush-Krieger von einst sind fassungslos: Obama habe es "anderen überlassen, das zu Ende zu führen, und das ist für mich die falsche Art, mit solchen Krisen umzugehen", erklärte Ex-Vizepräsident Cheney im SPIEGEL-Interview . Was den Bürgerkrieg in Syrien angeht, gerät Obama unter wachsenden Druck, den Aufständischen zumindest direkte Militärhilfe zukommen zu lassen. Doch groß sind die Befürchtungen, Syrien könne sich für die USA im Falle eines Engagements zu einem zweiten Irak entwickeln: "Syrien ist Iraks Zwilling", warnte "New York Times"-Kolumnist Thomas Friedman.
10. Der Krieg ist im Land allgegenwärtig
Junge Amerikaner mit amputierten Gliedern sind keine Seltenheit auf Amerikas Straßen. Der Krieg ist allgegenwärtig, jeder kennt einen Veteranen, viele haben Verwandte und Freunde im Irak verloren. Autos tragen das Länderkennzeichen "IRQ" für Irak. Darunter: "Ich habe gedient." Meist ist das trotziger Stolz. Denn die Irak-Veteranen werden oftmals bemitleidet für den falschen Krieg, in den sie zogen. Genau wie ihre von Vietnam gezeichneten Väter. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Selbstmordrate auch. Die Nation ist verunsichert und kriegsmüde, viele Demokraten wie Republikaner wollen nichts mehr hören von Einsätzen auf anderen Kontinenten, der Spruch vom "nation building at home" ist weitverbreitet.